Qualitätsentwicklung der Hochschullehre nach 2020

Die „Kontroverse“ zwischen Wissenschaftsrat (WR) und Hochschulrektoren-konferenz (HRK) zu den zukünftigen Strategien für die Hochschullehre veranlasst einige Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisationen aus dem Feld zu einer Stellungnahme. Stefan Kühl, Ines Langemeyer, Gabi Weinmann und Marcel Schütz greifen auf organisationstheoretische Überlegungen zurück, um die Vorschläge als Plattitüden zu kritisieren. Neben einigen guten Argumenten findet sich im Text auch undifferenzierte Polemik, die uns zu einer Erwiderung herausfordert.

Die Autoren konstatieren, dass die Diskussion über Hochschullehre davon ablenken soll, dass ein Großteil der Ressourcen in die Forschung investiert wird (Exzellenzinitiative). Es ist zwar einerseits richtig, dass organisationswissenschaftliche Forschung die Divergenz von Rhetorik und Praxis betont. Damit ist aber andererseits nicht gesagt, dass hier nur die Beziehung einer „umgekehrten Kopplung“ möglich ist, also geradezu ein Gegensatz zwischen Rhetorik und tatsächlicher Praxis, der nur der Verschleierung dieser Praxis dient. Rhetoriken können Strukturen unterstützen und Strukturänderungen befördern. Es ist keineswegs gesagt, dass die vielfältigen Positionspapiere zum Thema universitärer Lehre nur Ausdruck einer rhetorischen Verschleierung sind. Die Wahrnehmung des Vorschlags von Lehrverfassungen als einer solchen Strategie speist sich aus theoretischen Hintergrundannahmen, die Semantiken und rhetorische Modelle in ihrer Wirkmächtigkeit abqualifizieren, wie etwa der historische Materialismus oder die soziologische Systemtheorie. Den Neo-Institutionalismus (mit Brunson als Urheber der These der umgekehrten Kopplung) kann man in dieser Hinsicht aber nur sehr bedingt zu einem Mitstreiter machen, da wesentliche Ergebnisse der neo-institutionalistischen Forschung gerade die Wirkmächtigkeit rhetorischer Modelle für die Umgestaltung organisatorischer Strukturen betonen. So ist auch der kritisierte Sprachgebrauch des neoliberalen New Public Management (NPM) sehr „erfolgreich“ in der Umgestaltung öffentlicher Organisationen gewesen. (Der „Erfolg“ bezieht sich dabei auf die Bewerkstelligung von Veränderungen und weniger auf  die Versprechungen des Modells.). Eine treffendere Perspektive scheint uns Whites Theorie von Identität und Kontrolle anzubieten, die von einem „interlock“ zwischen Rhetorik und Struktur ausgeht, der konstruiert werden muss, um Strukturveränderungen zu realisieren.

Zustimmen kann man dem Papier dennoch im Hinblick auf zwei Schlussfolgerungen: Erstens ist die Einforderung von „slack“, also von Ressourcen die Freiräume schaffen und nicht direkt Optimierungszielen dienen müssen gerade auch im Bereich der Lehre von erheblicher Bedeutung. Zu diesem Slack gehören feste, sichere Stellen, Zeit und Raum für Weiterbildungs- und Beratungsangebote, Möglichkeiten innerhalb der Lehre zu experimentieren und auch zeitliche Ressourcen sich der eigenen Lehre mit dem Blick eines Forschers zu widmen. Sicher gehört auch dazu nicht alles in Hochschulprofilen und -verfassungen, Studiengangs- und Prüfungsordnungen festzulegen. Zweitens muss diskutiert werden, ob die Hochschule als strategiefähige Gesamtorganisation tatsächlich immer der beste Adressat ist, um solche Verbesserungen durchzuführen oder ob es unter heutigen Bedingungen nicht mehr Sinn macht die Hochschule von Beginn an, als dezentrale Netzwerkorganisation zu begreifen und nicht allzu viel Vertrauen in hierarchische Steuerungsmodelle zu setzen.

Um den von White beschriebenen „interlock“ herzustellen bedarf es kommunikativer Anstrengungen in den Netzwerken der Hochschule. Um Netzwerke und Rhetoriken in Bezug auf eine Qualitätsentwicklung der Lehre zu verändern braucht es daher Akteure, die didaktische und strukturelle Ideen in die Diskussion einführen und damit den Raum der denkbaren Möglichkeiten zu erweitern, wie auch Timo van Treeck in seinem Debattenbeitrag mit Hinweis auf die Hochschuldidaktik feststellt. Das, was man für möglich oder normal hält hängt auch von den Personen ab, mit denen man spricht und lehrt.

Eine dezentrale Lösung wie Kühl et al. vorschlagen müsste aus dieser Perspektive bereichert werden um die Position der Boundary Spanner wie z.B. die eben erwähnte Hochschuldidaktik. Weder die einheitliche Lösung für die gesamte Hochschule noch das solitäre Experimentieren der Lehrenden kann dabei zum Ziel führen. Aufgabe ist es vielmehr, neue Verbindungen zwischen Lehrenden und Fachbereichen  zu etablieren. Rhetorische Modelle können bei dieser Transfertätigkeit eine wichtige Rolle spielen. Ob Lehrverfassungen die Qualitätsentwicklung der Hochschullehre befördern können ist letztlich eine empirische Frage, die auch stark von der Ausgestaltung dieser Form abhängt.

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